Franz Bergmüller – “Bild Raum Schnitt”
Text zur Ausstellung im Kunstraum ProArte, Hallein, 2017
Dr. Hildegard Fraueneder

Auf der Einladungskarte sehen wir eine auf Böcke gelegte Platte abgebildet, davor ein Bildobjekt, das die Lücke in der Platte wieder aufgreift, durch die hindurch das räumliche Dahinter nicht bloß sichtbar wird, vielmehr dieses zufällige Dahinter das Bild und seine Leerstelle auffüllt und das vermeintliche Nichts der Bildmitte neu und anders verkörpert.
Dieses für die Einladungskarte abgelichtete Arrangement ist Teil der Ausstellung und doch nehmen wir hier im Ausstellungsraum ein anderes Bild wahr als auf der Karte.

Ein zentraler Ausgangspunkt oder vielmehr auch Referenzpunkt in den Arbeiten von Franz Bergmüller ist die Fotografie und die Geschichte der optischen Medien. Im Besondern geht es ihm um die Wahrnehmung und ihre Perspektiven zwischen dem Kamerablick und der räumlichen Situiertheit, mit denen er das Changieren von Bildwirkung, Scheinrealität und Wirklichkeit dynamisiert. Vordergründig könnten wir die hier ausgestellten Werke als Fotoobjekte, manche als Fotorelikte bezeichnen, und doch treffen diese Bezeichnungen nicht den Kern seines künstlerischen Tuns. Mit dem Herausschneiden von Figuren geht ihre Entfaltung im Raum einher, mit der Auffaltung von Körperbildern eine Verknüpfung von vorne und hinten, innen und außen, mit dem Überlagern und Schichten, Einrollen und Ineinanderfügen eine Re-Figuration, mit der vor allem auch die medialen Gattungsgrenzen verschoben werden.

Der folgende Text greift die Titelbegriffe auf, erweitert diese zu Begriffsfelder und folgt der Anordnung der Werkgruppen in den drei Ausstellungsräumen. Er bezieht sich zunächst auf die Arbeiten im Eingangsraum, leitet weiter zu den Modellen im lang gestreckten zur Straße liegenden Raum und befasst sich am Ende mit der Installation im kleinen Nebenraum.

1. Bild und Bildkörper
Jedes Bild basiert auf einer Verkörperung. Bilder zeigen nicht nur, sie stellen sich uns auch als Körper entgegen – in ihrer Materialität und in ihrer medialen Ausdrucksweise.
Neuere Bildtheorien disqualifizieren häufig das physische Bild zu einem bloßen Bildträger, der quasi als Skelett oder Träger der Sichtbarkeit diene und somit zwar etwas Notwendiges, das Bild aber das Eigentliche sei. Ganz anders verfährt Franz Bergmüller: er bearbeitet nicht nur das physische Bild, er zeigt auch auf, dass vor allem die materiellen Bildträger dazu beitragen, wie ein Bild erscheint. Denn jedes bildliche Verkörpern ist ein räumlicher Figurationsprozess, unabhängig davon, ob es sich auf der Fläche oder im Raum vollzieht.

Schon seit längerem können wir in den Arbeiten des Künstlers die Doppelung von Körper im Bild und als Bildkörper beobachten, indem fotografische Abbilder von Körpern nach unterschiedlichen Schemata zerschnitten und zu Bildkörper umgearbeitet werden.
Auf den ersten Blick glaubt man, dass der abgelichtete Körper, sei es jener des Künstlers selbst oder der seiner Partnerin, der Künstlerin Gunda Gruber, durch die Schnitte fragmentiert worden sei und man fühlt sich versucht, seine vormalige Ganzheit wiederzufinden. Doch Fotografie war und ist nie etwas Anderes als Fragment: bereits der fotografische Akt isoliert und fixiert aus dem Fluss der Zeit und der Heterogenität eines Raumes eine Ansicht, er formt etwas zu einer Gestalt. Und selbst bei der konventionellsten Fotografie eines Menschen ist sein Körper immer bereits vom Bild entzweit. Das Bild vermag bestenfalls eine ehemalige Anwesenheit bescheinigen.
Was wir an den Arbeiten von Bergmüller sehen, ist eine zweifache Arbeit am Fragment – dem Fragment der Fotografie und dem Fragment des Körpers, wobei er das Verhältnis vom Ganzen und dem Fragment entpolarisiert und prozessualisiert. Das Ganze und das Fragment stehen sich weder gegenüber noch verweisen sie wechselseitig aufeinander. Das Fragment ist nicht mehr abhängig vom Ganzen, da es sich prozessual verselbständigt und in neuen Körpern aufgeht.
An der zentralen Wand hängt eine Reihe von Umrissen eines auf Holz aufkaschierten Figurenfotos, unterschiedlich in ihrer Größe und Form, nebeneinander gehängt wie auf einer Werkzeugwand und doch ist es unwichtig, ob sich die Teile wie Jahresringe wieder zu einem Ganzen fügen lassen. Wesentlich mit dem Bildkörper verknüpft ist der physische Eingriff, die Arbeit am und mit dem Material, das hier in diesem Setting als handwerkliches Tun an vielen Markierungen sichtbar wird: den Schraubzwingen, Klammern, Tischböcken usf.

2. Raum und Schatten
Der Schatten ist bekanntlich aufs engste mit der Fotografie und ihren Vorläufermedien verknüpft. Aber er gilt auch als ein Symbol des Wirklichkeitsbezuges, indem er die raumzeitliche Situierung anzeigt – Körper, die keine Schatten werfen, werden der Unwirklichkeit, der Geisterwelt zugerechnet. Ein Schatten erlaubt uns also Rückschlüsse auf die Gegenwart eines Körpers, durch den er ja erst gebildet wird, und doch verlängert oder verkürzt er sich je nach Lichteinfall, liegt mal vorne, hinten oder seitlich – er scheint so gesehen immer auch mit Perspektiven und Wahrnehmungspositionen zu spielen.
Die Fotografie als Schattendieb zu bezeichnen mag vielleicht irritieren, doch ihre optischen Vorläufer wie der berühmte Silhouettierstuhl des Physiognomen Lavater zeigen, dass es ihr um die Fixierung der Schatten eines Körpers zu tun ist, und nicht zufällig hätte die Fotokunst beinahe die Bezeichnung die Kunst des Schattens erhalten.
In einem an der Wand lehnenden Bild ist ein Körperumriss wie ein Schatten, der sich über den flachen Boden an die Hauswand schmiegt, zu sehen. Er ist so offensichtlich von einem Körper losgelöst, dass er an den an den Teufel verkauften Schatten des Peter Schlemihl erinnert, den der Graue in der Geschichte aus der Romantik so unaufgeregt vom Boden aufheben und einstecken kann.

Der Schatten bezeugt einerseits einen Gegenwarts- und Wirklichkeitsbezug, aber andererseits kann er gemeinhin keine eigene Wirklichkeit ausbilden. Und hier scheint Bergmüllers künstlerische Interesse einzusetzen, ihm eine eigene Realität und Materialität zu geben, wie in diesem Bild, und wie es auch, aber anders, in der Videoprojektion im hinteren Raum zu sehen ist: das Motiv des Menschen, der versucht ist, einen Schatten zu verfolgen, kennen wir aus unzähligen Geschichten, doch hier verfolgt die Kamera den Schatten, und dieser zeigt sich ihr anders als uns.
Die Videoprojektion ist eingebettet in eine aus mehreren Tischen gebaute Präsentationsstruktur für Modelle größerer und kleinerer Arrangements, die auch das Prozessuale einer Ateliersituation vermitteln. Auffallend oft wird gegen die Flachheit der Fotografie opponiert, das Fotopapier mit den abgelichteten Körpern, die ab und an auch nur mehr als Konturen erkennbar sind, wird gefaltet oder geschnitten und abschnittsweise emporgezogen, so als ob es ein Wahres dahinter zu entdecken gäbe, wo sich immer nur ein Weiß der Rückseite zeigt – das eben gerade deshalb nicht Nichts ist, da es Schatten wirft und sich ein Körper damit räumlich neu figuriert.
Raum ist weder etwas Stabiles noch per se Vorhandenes, vielmehr wird Räumlichkeit durch Wechselbeziehungen produziert und bildet sich in einem stetigen Hervorbringen. Werden fragile Gebilde durch Mechaniken wie Ventilatoren zum Vibrieren gebracht oder durch Bewegungsmelder in Drehbewegungen versetzt, wird dadurch Raum nicht nur mit Zeit verbunden verdeutlicht, wir können auch verstehen, wie grundlegend Raumwahrnehmung mit Bewegung und dem Taktilen in Verbindung steht.

3. Schnitt und Freistellen
Der Filmemacher Sergej Eisenstein hat einmal gesagt, die Schere sei das wichtigste Produktionsmittel. Für die filmische Narration sind Schnitt und Montage elementar – sie vollbringen es, dass das Weggeschnittene unserer Phantasie zuarbeitet und uns nicht als Lücke oder Leerstelle entgegentritt. In der digitalen Fotografie zeigt sich das Zuschneiden ähnlich – so in der Verwendung des Freistellungstools, mit dem man alles, was man nicht will, förmlich ausradieren und das bevorzugte Bildobjekt zentral positionieren kann. Die Schnitte aber, die Bergmüller setzt, sind physischer Natur, auch sie stellen ein Bildmotiv oder eine Form frei, ohne aber die Lücke oder Leerstelle zu verleugnen. Eine leere Stelle wird auch durch das, was sie umgibt, wahrnehmbar und von ihren Rändern her bestimmbar. Und auch die Lücke wirkt raumbildend, indem sie das Dahinter in sich aufnimmt, das Darunter zeigt. Der Schnitt ist bei Bergmüller mal exakt und linear gesetzt, mal folgt er organisch den Körper- oder Pflanzenkonturen und bei manchen Arbeiten ist er durch ein freies Reißen oder Ritzen erzeugt. Werden beispielsweise bei einem abgelichteten Baum nicht nur die Fotooberfläche aufgeritzt, sondern die Furchen tief in das Holz des Bildträgers gegraben, so vermag diese Geste dem Fotorealismus eine neue Dimension hinzufügen. Wie er die Schnitte setzt, ist nie beliebig, immer erzeugt er damit eine spezifische Darstellungs- und Wahrnehmungsebene.

Die lineare Zerlegung eines großflächig aufkaschierten Fotos, auf dem in starrer Position Gunda Gruber zu sehen ist, gilt der Befragung von Dispositionen einer Studiofotografie: konkret dem Gegenüber von Modell und Apparatur, der Ablichtung als Fixierung und als Einfrieren einer Pose. Den Studiospots stehen nun einzelne Bildkörper gegenüber, deren vorangegangene Fragmentierung gewalttätiger erscheint als in den anderen ausgestellten Arbeiten, obgleich wir hier das Bild in der Vorstellung wieder halbwegs zusammensetzen könnten. Der Akt des Posierens für das Foto wird hier mit dem Effekt der Pose vermittelt – nun sind es die Bildteile, die in Pose gestellt ihre Schatten an die Wände werfen und ein neues Bild produzieren, einen möglichen neuen Abzug. Aber vor allem wird hier das vormalige Bild begehbar und der im Foto zu sehende Bildraum mit dem realen Raum in Interaktion versetzt.

Bergmüller denkt weit über die kadrierte Fotografie, über das Einzelbild hinaus. Seine Arbeit setzt an den Rändern und unter der Bildfläche ein und öffnet diese der Dreidimensionalität, Bewegung und Haptik. Die hochgradige Trägerflexibilität eines Fotobildes, ihre höchst unterschiedliche Materialisierung wird in seinen Arbeiten weitergedacht in verschiedenen Zuständen eines Sich-Zeigens, indem Bild, Schnitt und Raum gleichermaßen die Wahrnehmung herausfordern.